„Ziviler Ungehorsam“ ist eine wirkmächtige Aktionsform, um gewaltfrei und – trotz gezielter Übertretung von Gesetzen – in demokratiekonformer Weise als notwendig erachtete gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen oder gar zu erreichen.
Erstmals begründet wurde diese Aktionsform von dem US-Amerikaner Henry David Thoreau. Im 19. Jahrhundert verweigerte er aus Protest gegen die Sklaverei in den USA eine Steuer und wanderte dafür ins Gefängnis (aus dem ihn dann eine Tante – wohl gegen seinen Willen – auslöste). Diese Erfahrung und die zugrunde liegende Haltung fasste er in dem Essay „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ (Original: „The Resistance to Civil Government“) zusammen. Dieser Essay inspirierte unter anderem Mahatma Gandhi bei der Entwicklung von Strategien des Zivilen Ungehorsams gegen die britische Kolonialmacht in Indien.
Auch in Deutschland wurde und wird Ziviler Ungehorsam insbesondere von gewaltfrei agierenden Aktionsgruppen und sozialen Bewegungen praktiziert. Zum Beispiel von der Anti-AKW-Bewegung der 1970er und 1980er Jahre mit Bauplatzbesetzungen (etwa gegen das AKW Wyhl im Kaiserstuhl) oder auch von der Friedensbewegung, die gegen den NATO-Doppelbeschluss im 1983 den „Aktionsherbst des Zivilen Ungehorsams“ ausrief (zu dessen Unterstützung von 1983 bis 1987 von einem Teil der Friedensbewegung und finanziell von den Grünen gefördert die „Koordinationsstelle Ziviler Ungehorsam“ eingerichtet wurde – deren Leiter der Autor war).
Auch heute nehmen Aktivistinnen und Aktivisten etwa von „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ oder „Aufstand der letzten Generation“ für sich in Anspruch, Zivilen Ungehorsam zu praktizieren. Und wie in den 1980er Jahren werden Diskussionen geführt, inwieweit das legitim ist (Glotz 1983, Der Tagesspiegel v. 10.02.2022).
Hier soll nun nicht die Diskussion geführt werden, ab wann und wie Ziviler Ungehorsam legitim ist. Vielmehr soll hier auf die äußerst interessanten Ausführungen des Co-Leiters der Forschungsgruppe Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), Andreas Knie, aufmerksam gemacht werden: „Der Laternenparker von Bremen. Die Gesellschaft muss erstreiten, welchen Raum der Autoverkehr einnehmen soll.“
Darin wird ausgeführt, dass das Parken von Pkw im öffentlichen Raum nicht schon immer erlaubt war. Ein Bremer Kaufmann hat das mit seinem über zehn Jahre gehenden Ungehorsam erstritten, indem er immer wieder regelwidrig in der Öffentlichkeit geparkt hat. Im Jahr 1966 hob daraufhin das Bundesverwaltungsgericht dieses Parkverbot auf: „Das oberste Gericht verwies 1966 in seiner Urteilsbegründung auf eine Inkonsistenz in der Politik: Einerseits wollte der Staat das Autofahren fördern, also die sprunghafte Erhöhung der Zulassung erreichen und den Besitz und die Nutzung von Kfz zu einem verkehrsüblichen Verhalten entwickeln, aber eine Reihe von Verkehrsregeln waren dafür nicht konsistent austariert – in diesem Fall das öffentliche Abstellen privater Fahrzeuge. Die aus den 1930er-Jahren stammende ‚Reichsgaragenordnung‘ hatte klar definiert, dass der Besitz eines Fahrzeugs auch an einen privaten Stellplatz gebunden sein musste. Vor dem Hintergrund des definierten Staatsziels, dass alle Menschen Auto fahren können sollen, war diese Regel unpraktisch geworden.“ (Knie 2021)
Und heute? Andreas Knie schreibt hierzu weiter:
„Im Jahre 2021 könnte hieraus nun genau der umgekehrte Prozess abgeleitet werden. Das neue Staatsziel heißt Klimaschutz – und zwar jetzt und sofort! Dem stehen allerdings eine Reihe von geltenden Regelungen im Wege. Hier könnte die Strategie der kontrollierten Grenzüberschreitung ansetzen.“
Wenn sich eine Kommune nicht dazu bereit findet, den öffentlichen Parkraum drastisch einzuschränken, „könnten die öffentlichen Parkplätze von Bürgerinnen und Bürgern einfach mit anderen Gegenständen wie Fahrrädern, Rollern oder Stühlen und Tischen für die Gastronomie oder andere Gewerbe ‚besetzt‘ werden. Wie würden wohl die zuständigen Verwaltungsgerichte entscheiden, wenn Anwohnerinnen und Anwohner die Wiederherstellung des alten Ordnungsrechts verlangen?“
„Die Zahl der Autos könnte also auf genau dem Wege reduziert werden, wie sie vor Jahrzehnten explodierte: durch eine Besetzung der Straße durch die Öffentlichkeit.“ So schließt der Artikel von Andreas Knie.
Diese Überlegungen lassen sich sicher auch auf andere Herausforderungen der Stadtentwicklung, der Abwendung der Klimaerhitzung, des Erhalts öffentlicher Räume usw. übertragen.
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Wenn Sie gute Beispiele Zivilen Ungehorsams aus Köln kennen, aus denen Bürgerinitiativen und andere engagierte Menschen für ihre Anliegen heute und morgen lernen können, schicken Sie uns diese – gerne auch als fertigen Artikel für diesen Newsletter.
Und: Wenn Sie Rat suchen, wie das genau geht mit Zivilem Ungehorsam, zu was Sie dabei bereit sein müssten, wann und wie er gewaltfrei und nicht zuletzt legitim gestaltet werden kann und was dazu vorher alles geschehen sein muss bzw. ob es nicht bessere Handlungsmöglichkeiten unterhalb einer solchen Grenzüberschreitung gibt, dann schicken Sie uns eine E-Mail oder nutzen unsere in der Regel einmal wöchentlich angebotene öffentliche Online-Sprechstunde.
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Autor: Dieter Schöffmann, Bereichsleiter „Politische Partizipation“, Kölner Freiwilligen Agentur e.V.
Quellen und ein Artikelempfehlungen:
Deutschlandfunk: Ziviler Ungehorsam. Extinction Rebellion „auf jeden Fall legitim“. Onlineveröffentlichung vom 09.10.2019 [letzter Abruf: 10.03.2022]
Glotz, Peter (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat. Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1983
Knie, Andreas: Die Laternenparker von Bremen. Die Gesellschaft muss erstreiten, welchen Raum der Autoverkehr einnehmen soll; in: WZB (Wissenschaftszentrum Berlin) Mitteilungen Nr. 174 Dez. 2021, S. 36 ff. | als PDF-Dokument herunterladbar
Öhler, Andreas: Ziviler Ungehorsam: Die Obrigkeit und ich. ZEIT online v. 24.11.2021 [letzter Abruf: 10.03.2022]
Tagesspiegel, Der: Koalitionszoff wegen Autobahnprotesten in Berlin Justizminister maßregelt Umweltministerin, auch Özdemir geht auf Distanz. Onlineausgabe vom 10.02.2022 [letzter Abruf: 10.03.2022]
Thoreau, Henry David: Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat und andere Essays. Zürich (Diogenes) 1967