Die Graswurzelinitiative Samos Volunteers unterstützt seit 2015 Geflüchtete auf Samos und sucht aktuell Spenden für Winterkleidung/ Sammlung in Köln am So, 24.11.2024
Samos, Oktober 2024. Während auf europäischer Ebene das Thema Asyl mit Fokus auf Abschottung oder sogar Aussetzung diskutiert wird, setzen andere auf Solidarität. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Initiative „Samos Volunteers“. Seit ihrer Gründung im Jahr 2016 unterstützt die Graswurzelorganisation Geflüchtete auf der griechischen Insel Samos mit psychologischer Unterstützung, informeller Bildung und Kleiderspenden.
„Wir sind so froh, wenn andere sich für die Situation hier interessieren“, sagt Alessia, die Koordinatorin der Samos Volunteers. Alessia kam 2022 nach Samos und ist seither nur einmal in ihre Heimat, Italien, zurückgekehrt, um die letzten Prüfungen für ihren Master in Migrationspolitik zu machen. Alessia Begeisterung für ihre ehrenamtliche Arbeit ist spürbar: „Ich wollte ein halbes Jahr bleiben. Aber die Arbeit hier ist so sinnvoll und sinnstiftend, dass daraus nun schon zweieinhalb Jahre wurden.“ Wie sie denken offensichtlich viele. In der Regel engagieren sich 20 Freiwilligen vor Ort bei den Samos Volunteers. Sie realisieren die vielen verschiedenen Angebote, bringen eigene Ideen ein und, ganz wichtig, wirken auch nach ihrem Engagement als Multiplikator:innen für eine menschenwürdige Migrationspolitik.
„Uns ist es wichtig, dass die Situation für Menschen auf der Flucht bekannt bleibt. Durch die geringere Medienpräsenz oder auch durch das neue Camp denken viele, dass alle Probleme gelöst sind. Aber wir sehen jeden Tag, wo es mangelt.“ beschreibt Alessia ihre Erfahrungen in der Arbeit vor Ort. Dreh- und Angelpunkt dabei ist die Art und Dauer der Unterbringung der geflüchteten Menschen im sogenannten Samos Closed Controlled Access Centre.
Das Samos Closed Controlled Access Centre (CCAC)
Das Registrierungszentrum auf Samos wurde im September 2021 eingeweiht. Es löste das alte Lager ab, das sich rings um die Inselhauptstadt Vathi gebildet hatte. Aktuell leben hier ca. 3000 Menschen, hauptsächlich aus Syrien, Afghanistan und Eritrea. In der Regel sind sie fünf Monate im Camp, bis sie auf das Festland transferiert werden. Diejenigen, deren Schutzgesuch abgelehnt wird, bleiben auf Samos.
Auf den ersten Blick scheint das neue Camp und die deutlich gesunkene Aufenthaltsdauer von früher bis zu drei Jahren wie eine Verbesserung. Aber schaut man genauer hin, sieht man die Probleme: Das neue Camp ist mitten in den Bergen, fern ab von allem. Vathi, das nächste Städtchen, ist sechs Kilometer entfernt. Für die Campbewohner:innen sind so z.B. ein Supermarkt, eine Beratungsstelle oder das Community-Center der Samos-Volunteers schwer erreichbar. Eine Busfahrt kostet 4€, viel für einen Menschen mit 40€ Bargeld im Monat. Besonders viel, wenn aus unerklärlichen Gründen die staatlich Unterstützung nicht ausgezahlt wird, wie es auf Samos seit Mai 2024 geschieht.
Die gefängnisähnlichen Zustände des Camps, z.B. ein Nato-Maschendraht auf meterhohen Zäunen, Eingangskontrollen wie an einem Flughafen, eine hohe Präsenz an Security und Polizei sowie zeitlich beschränkter Ausgang – sind bedrückend und für viele Geflüchtete retraumatisierend. Die ärztliche Versorgung ist nicht den psychischen und physischen Erkrankungen der Bewohner:innen angemessen und selbst Trinkwasser gibt es nur eingeschränkt. Eine Studie von Amnesty International kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Mangelhafte Ernährung, unzureichende Hygiene, unrechtmäßige Inhaftierung und fehlende medizinische Versorgung sind die größten Kritikpunkte (Link zur Studie „‘Samos – we feel in prison on this island‘ unlawfull detention and sub-standard conditions in an EU-funded refugee-center“). Schon im Mai 2023 forderten Initiativen daher die Schließung des Camps (Link).
Die Angebote der Samos Volunteers
Die Samos Volunteers haben auf den Umzug des Camps schnell reagiert. Neben Alpha, dem Community Center in Vathi, bauten sie fünf Gehminuten neben dem CCAC das Alpha-Land mit mehreren befestigten Zelten auf. So können sie auch Menschen, die nicht bis Vathi kommen, unterstützen.
Alle Angebote der Samos Volunteers sind auf die Bedürfnisse der geflüchteten Menschen abgestimmt. Dazu gehören u.a. Bildungsangebote wie Sprach- oder Computerkurse, sichere Räume für Frauen und Kinder, Verweisberatung zu anderen Initiativen auf Samos und die beiden Community-Centern, in denen die Campbewohner:innen sich willkommen fühlen können. Die Initiative möchte Geflüchteten eine Stimme geben und ihnen eine Perspektive bieten. „Dazu gehört, dass Menschen, die im Camp leben, unsere Angebote nicht nur nutzen, sondern sie auch selber als Community-Volunteer gestalten. Jeder, der zu uns kommt, bringt neue Ideen mit“, erklärt Alessia, „So können wir uns ständig weiterentwickeln. Wir sind dadurch auch die erste Initiative auf Samos geworden mit besonderen Angeboten für LGBTIQ “
Seit zwei Wochen ist auch Lucie im Team. „Ich habe Internationale Friedensarbeit studiert. Und genau darum bin ich hier: Ich möchte wissen, was das in der Praxis bedeutet.“ Die 23jährige Kölnerin möchte sich bis Mitte Dezember bei den Samos Volunteers engagieren. „Bis jetzt finde ich es richtig gut hier. Die Initiative hat eine sehr gute Struktur. Natürlich wird es hier ab und zu mal chaotisch, das bleibt bei so viel Vielfalt im Team und in der Arbeit nicht aus. Aber wir finden immer wieder unseren Weg!“. Lucie unterstützt im Moment hauptsächlich die anstehende Verteilung von Winterkleidung. „Die Menschen aus dem Camp kommen oft nur mit dem, was sie am Körper tragen“, sagt sie. „Wir wollen sicherstellen, dass sie die notwendige Kleidung haben, besonders jetzt, wo der Winter naht.“
Die Samos Volunteers gehen von einem großen Bedarf aus. Schon im Herbst 2023 war das für ca. 3000 Personen konzipierte Zentrum mit 4850 Menschen überbelegt. Daher gehen sie davon aus, dass die Zahl von aktuell leben ca. 3.000 Menschen auf 4000 Menschen steigen wird.
„Wir sind sehr froh, durch unsere ehemaligen Volunteers ein starkes Netzwerk auf der ganzen Welt zu haben, die unsere Arbeit unterstützen.“ sagt Alessia, „Grade in Deutschland sind in vielen Städten Menschen aktiv, sei es mit Benefiz-Läufen, Spendensammlungen oder Informationsveranstaltungen.“
Wie geht es weiter?
Die Zukunft bleibt herausfordernd, aber die Samos Volunteers sind fest entschlossen, ihre Struktur aufrechtzuerhalten und weiterhin Unterstützung zu leisten. „Durch den Umzug des Camps mussten viele NGOs ihre Arbeit beenden. Ihre Räume waren einfach zu weit für die Campbewohner:innen entfernt. Zudem sind viele andere Krisen präsent. So ist z.B. eine von einem Marokkaner gegründete Initiative nach dem schweren Erdbeben in seiner Heimat auch dort aktiv geworden und musste die Arbeit auf Samos aufgrund fehlender Ressourcen beenden. Das erhöht natürlich den Druck auf uns, unsere Strukturen aufrecht zu erhalten.“ erklärt Alessia. „Trotz aller Herausforderungen: Wenn wir weiterhin auf ein so starkes Netzwerk zählen können, werden wir es schaffen!“
Wer die Samos Volunteers unterstützen möchte hat viele Möglichkeiten:
- Spenden: Schnell und einfach über diese Seite: donorbox.org/samos-volunteers
(Auf Wunsch kann eine Spendenbescheinigung ausgestellt werden) - Starte eine private Spendenkampagne und sammel über deinen Lauf, deine Radtour, deine Lesung, deine Sonnengrüße… Spenden für die Samos Volunteers: Move for Samos
- Engagement: Die Samos Volunteers freuen sich über neue Engagierte. Jede:r ab 20 und mit mindestens zwei Monaten Zeit kann sich bewerben. Mehr Infos
Winterkleidung-Sammlung in Köln
Kölner:innen können sich sehr einfach an der Sammlung der Winterkleidung für die Samos Volunteers beteiligen: Die Kölner Organisation CologneCares bietet am Sonntag, 24.11.2024, 12-16 Uhr eine Sammelstation an. Der Ort ist das Lokal Rakete, Baudriplatz 2, Köln-Nippes. Wer beim Kleidersortieren helfen möchte ist herzlich willkommen: Meldet euch gerne vorab bei info@cologne.cares.deund colognecares1
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Wir sind schon lange mit den Samos Volunteers verbunden (mehr Beiträge) und freuen uns, dass unsere Kollegin Gabi Klein einen Aufenthalt auf Samos für deinen Besuch bei den Samos Volunteers nutzte.
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Weiterführende Infos:
Zahlen zum Thema Flucht
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen veröffentlicht regelmäßig Daten zum Thema Flucht, hier zum Beispiel zu Menschen, die über das Meer nach Griechenland fliehen: https://data.unhcr.org/en/situations/europe-sea-arrivals
Studie: Samos: „Wir fühlen uns wie im Gefängnis auf der Insel“: Unrechtmäßige Inhaftierung und unzureichende Bedingungen in einem von der EU finanzierten Zentrum für fliehende Menschen
Obwohl die Europäische Kommission neue Aufnahmezentren für Asylsuchende auf den Ägäisinseln finanziert und „bessere Bedingungen“ verspricht, haben Menschen auf der Flucht, die im „Closed Controlled Access Centre“ auf Samos leben, keinen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und werden systematisch und willkürlich festgehalten. Die EU muss sicherstellen, dass die Umsetzung des neuen Migrations- und Asylpakts der EU nicht zu ähnlichen Missbräuchen führt. (Amnesty international, Juli 2024, Link)
Systematische Inhaftierung von Asylsuchenden mit EU-Geldern
Auf der griechischen Insel Samos werden Asylsuchende in von EU finanzierten Flüchtlingslagern systematisch über die zulässige Höchstdauer inhaftiert. Amnesty International prangert in einem Bericht desolate Zustände in dem Lager an.(MIGazin, 31.07.2024, Link)
Griechenland soll Strafe für Überwachung in Grenzcamps zahlen
Wie weit darf die EU bei der Überwachung von Asylsuchenden an ihren Grenzen gehen? Griechenland testet das in neuen Lagern auf den Ägäischen Inseln. Nun hat die griechische Datenschutzbehörde dafür eine Strafe verhängt. Bürgerrechtler:innen hoffen auf eine Entscheidung mit Signalwirkung.(Netzpolitik.org, 10.04.2024, Link)
Joint Statement: Call for the Closure of the Samos Closed Controlled Access Centre
Am 3. Mai 2023 veröffentlichten Organisationen aus Samos eine gemeinsame Erklärung, in der sie die sofortige Schließung des Samos CCAC forderten, da es weiterhin Menschenrechtsstandards nicht einhält. Seit Beginn des Betriebs des Samos CCAC warnten zivilgesellschaftliche Organisationen bereits vor den „gefängnisähnlichen und erniedrigenden“ Bedingungen in der Einrichtung. (03.05.2023, Link)
Zwischen Kontrolle und Freiheit: Das neue Flüchtlingslager auf Samos
Fünf neue Containerstädte für Geflüchtete sollen in Griechenland die provisorisch eingerichteten Zeltcamps ersetzen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, diese würden die Freiheiten der Asylsuchenden zu sehr einschränken. Auf Samos wurde das erste Camp Mitte September eröffnet. (DeutschlandFunk, 24.10.2021, Link)