Offener Brief an die Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in NRW

 

Sehr geehrte Damen und Herrn, liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Vorfeld der Landtagswahlen 2010 hat die Freie Wohlfahrtspflege, zu der die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas, der Paritätische, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie und die jüdischen Gemeinden gehören, 40 Fragen an die politischen Parteien gestellt. Das letzte der 22 Kapitel widmet sich dem Thema Bürgerengagement. Der vollständige Wortlaut dieses Kapitels findet sich in der Fußnote.

Uns freut die Berücksichtigung von Bürgerengagement. Empört sind wir jedoch darüber, dass einige Akteure des Bürgerengagements verächtlich gemacht werden. Wir fühlen uns in dem Papier angesprochen in drei von vier Beispielen. Als „Koordinierungsstelle“ für Bürgerengagement seien wir Opfer eines Steuerungsversuchs der Kommune, genauso wie als „Agentur zur Förderung der generationsübergreifenden Freiwilligendienste“. Als Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen fühlen wir uns ebenso gemeint und fragen uns, wer denn auf Landesebene versucht hat, dieses Netzwerk zu steuern, und vor allem, ob dies denn – wie die Wohlfahrtsverbände befürchten – dazu führte, „dass das Bürgerschaftliche Engagement in eine unentgeltliche, leicht zu steuernde personelle Ressource umfunktioniert wird, mit der dem weiteren Abbau des Sozialstaates Vorschub geleistet wird“. Wir fühlen uns durch diese Unterstellung verunglimpft!

Von Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros und vielen andern Ehrenamtsvermittlern ging in den letzten Jahren eine große innovative Kraft aus. Viele Initiativen und Projekte wurden von Vermittlungsagenturen an Kommunen herangetragen und sind aufgenommen worden. Nicht umgekehrt!

Wir fragen zurück:

Was tun die Wohlfahrtsverbände, um die Innovationskraft des ehrenamtlichen Engagements in ihren eigenen Einrichtungen zu fördern?

Wir fordern Sie auf:

Lassen Sie Bürgerengagement zu! Die Menschen, die in Ihren Einrichtungen betreut werden, werden es Ihnen danken!

Ehrenamtliche haben einen ausgeprägten Eigensinn. Sie lassen sich nicht so leicht ausnutzen. Nicht von der Politik und auch nicht von Einrichtungen, die sie vermeintlich gern als billige Arbeitskräfte missbrauchen würden. Die allermeisten Einrichtungen haben erkannt, dass das nicht funktioniert, und sie haben erlebt, wie bereichernd ehrenamtliches Engagement für die Kernaufgaben sozialer Dienstleister ist. Umso mehr wundern wir uns über die Ausführungen der Verbände.

Im Übrigen sind wir überzeugt, dass die Wohlfahrtsverbände angesichts des europäischen Wettbewerbsrechtes ihre Position sehr stärken, wenn sie auf bürgerschaftliches Engagement bauen. Ein Blick auf die europäische Ebene zeigt, dass Bürgerengagement ein wichtiges Merkmal ist, das Gemeinnützige von Gewerblichen unterscheidet. Die Wohlfahrtsverbände können im europäischen Wettbewerbsrecht nur bestehen, wenn sie glaubhaft auf bürgerschaftliches Engagement setzen. In aller Bescheidenheit möchten wir darauf hinweisen, dass bürgerliches Engagement mit Vermittlern wie Freiwilligenagenturen besser gelingt als ohne.

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Hans Henrici, Barbara Maubach, Anne Ohlen, Dr. Richard Quabius, Frieder Wolf
Vorstand der Kölner Freiwilligen Agentur

 

Zitat:

Bürgerschaftliches Engagement

Bürgerschaftliches Engagement leistet mit seiner eigenständigen und besonderen Qualität einen zentralen Beitrag zur Lösung vieler aktueller und zukünftiger sozialer Herausforderungen. Zu denken ist etwa an die Bewältigung des demografischen Wandels, die Überwindung von Ausgrenzung durch Arbeitslosigkeit, Bildungsungerechtigkeit und Armut oder das Gelingen von Integration einer Einwanderungsgesellschaft. Grundvoraussetzung für das Entstehen und die Wahrnehmung bürgerschaftlichen Engagements ist das Prinzip der Freiwilligkeit und Selbstbestimmung – einschließlich der Freiheit von staatlich-politischer Steuerung und Funktionalisierung.

Die Freie Wohlfahrtspflege stellt fest, dass viele der (vielleicht in guter Absicht vorgenommen!) Steuerungsversuche Bürgerschaftlichen Engagements auf kommunaler Ebene (etwa durch Koordinierungsstellen oder Agenturen zur Förderung der generationsübergreifenden Freiwilligendienste) und auf Landesebene (Netzwerke und Internetportale) dazu führen können, dass das Bürgerschaftliche Engagement in eine unentgeltliche, leicht zu steuernde personelle Ressource umfunktioniert wird, mit der dem weiteren Abbau des Sozialstaates Vorschub geleistet wird.

-(39) Wie wird Ihre Partei im Falle einer Regierungsbeteiligung Unabhängigkeit, Beteiligung und Gestaltungskraft des Bürgerschaftlichen Engagements garantieren?
-(40) Welche Ressourcen werden für eine unabhängige Infrastruktur zur Stärkung Bürgerschaftlichen Engagements nach dem Subsidiaritätsprinzip bereitgestellt?

In gedruckter Form ist der Text veröffentlicht in: Forum Nr. 1 / 2010, Die Mitgliederzeitschrift des Paritätischen NRW.
Im Internet ist der Text und auch die Antworten der Parteien zu finden unter www.nrw-bleib-sozial.de/index.php/sID/d8da8d21f09bb30e26f1fb8233f3bded/lan/de

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