"Ich erfahre , wie kompliziert und faszinierend es ist, Schritt für Schritt, bruchstückweise eine vertrauensvolle Beziehung mit Menschen aufzubauen"

Vier und halb Monaten meines Freiwilligendienstes in Köln sind schon vorbei. Die ersten faszinierenden und packenden Eindrücke sind in der Vergangenheit geblieben, danach kommen schon tiefere und strukturierende Reflexionen.
 
Ich beobachte mein jetziges Leben aus der Perspektive der Tätigkeit, die ich früher machte – als Journalistin eines Online-Portals in Ukraine. Trotz vieler positiver Bestandteile ist leider "Oberflächlichkeit" das richtige Wort, mit welchem man die Arbeit eines Journalisten oder Journalistin in heutiger Welt beschreibt. Du triffst sich ab und zu mit Menschen, machst Berichte oder Storys, sie werden veröffentlicht, und dann kannst diese Leuten nie wieder in deinem Leben wiedertreffen.
 
Hier in Köln, bei der Arbeit im Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte, fühle ich mich so, als ob ich plötzlich eine andere Seite eines Spiegels geraten habe. Statt Oberflächlichkeit entwickle ich jetzt tiefe und intensive Kontakte mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen unseren Erzähl- und Begegnungscafé für NS-Verfolgte. In einem rasenden journalistischen Alltag man hat oft keine Zeit für den Aufbau des Vertrauens mit den Menschen mit solcher traumatisierten Vergangenheit. Bei meiner Einsatzstelle jetzt erfahre ich, wie es gleichzeitig kompliziert und faszinierend ist, Schritt für Schritt, bruchstückweise eine vertrauensvolle Beziehung mit Menschen aufzubauen. Und es passiert auch im relativ begrenzten Zeitraum – in Köln treffen sich ehemalige NS-Verfolgte für ein Paar Stunden des gemeinsamen Zeitvertreibs jede 14 Tage, in Düsseldorf und Recklinghausen – einmal pro Monat.
 
Ich habe mich nie gedacht, dass ich mich so wahnsinnig wegen ein paar Minuten eines Telefongesprächs mit einer 92-jährige Dame freuen würde, welche, obwohl sie das Opfer sowohl Nationalsozialismus als auch Stalinismus gewesen ist, ein ganz lebenskräftiges und lebensfreudiger Mensch bleibt. Oder wie stark es auf einmal wirken kann, wenn die Leningrad-Blockade-Überlebende sich trauen, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen, und du dabei dolmetschst. Oder wie toll es sein kann könnte, wenn die NS-Verfolgte nicht nur über ihr Verfolgungsschicksal erzählen, sondern auch von den angenehmen Dingen reden, die sie erleben. „Wissen Sie, mein Kind, bei älteren Leuten die Leidenschaften noch stärker sein können, als bei jüngeren. Man weiß nie, ob jetzige Affäre nicht die letzte Affäre in deinem Leben wird“, – sagte mir einmal unserer Cafébesucher.
 
Wenn ich solche Sache höre und miterlebe, dann fühle mich, dass ich jetzt zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin. Und es hilft auch sehr im Alltag, etwas sich hinausheben.
 
Dafür wäre es auch inkorrekt, nicht über meine Erfahrungen in der Rolle einer Neukölnerin zu schreiben. Es ist interessant zu beobachten, wie der Vorgeschmack über die Stadt sich langsam (oder manchmal auch sprunghaft) zu einem vielfarbigen Bild und Vorstellung ändert. Zunächst man sieht ein großartiges Gebäude des Kölner Doms, lebendige Schildergasse, angesagte Ehrenfeld und Südstadt, danach entdeckst auch etwas ziemlich anderes – wie Porz oder Chorweiler. Du kennst das Image von Köln als einer der tolerantesten Städte in Deutschland, und dann erfährst du über die Ereignisse in der Silvesternacht beim Hauptbahnhof. Du wartest auf Karneval, die das Fest der Ausgelassenheit und Lebensfreude sein sollte (und eigentlich ist). Aber deine Arbeit gibt auch ganz andere Perspektive – dass der Kölner Karneval während der Zeit des Nationalsozialismus auch deutlich antisemitisch geprägt war.

Für mich als Mensch, der aus dem postsowjetischen Raum kommt, und zwar aus dem Land, wo jetzt eine intensive Entkommunisierung stattfindet, ist es ziemlich unheimlich, plötzlich auf dem Zülpicher Platz eine „soviet-style“ Kneipe zu entdecken. Gleichzeitig ein paar Minuten zu Fuß entfernt befindet sich eine lebendige Gay-Bar, was ich meinem hauptsächlich homosexuellenfeindlichen Land schwer vorzustellen ist.
 
So ist für mich Köln jetzt – sehr offen, multikulti, vielfältig, teilweise aber auch merkwürdig. So ist aber auch das Leben – nicht einfach, aber immer interessant zu entdecken. Hauptsache, es macht neugierig, und das für mich im Leben am wichtigsten ist.

Hanna Vlasiuk

… den ersten Teil von Hanna Vlasiuks Bericht finden Sie hier
…  eine Fortsetzung des Berichtes finden Sie im nächsten Newsletter der Kölner Freiwilligen Agentur

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