Fünf Empfehlungen für eine starke partizipative Demokratie

Die Forderung nach einer Stärkung der Demokratie durch mehr Bürgerbeteiligung steht seit geraumer Zeit im Zentrum öffentlicher Debatten. Im Vorfeld der kommenden Bundestagswahl legt das von der Stiftung Mitarbeit initiierte Netzwerk Bürgerbeteiligung nun fünf Empfehlungen vor, wie sich dieses Ziel erreichen lässt. Eine Leitfrage dabei lautet: Wie kann eine belastbare und gleichzeitig innovative Demokratie auf allen politischen Ebenen ausgestaltet werden?

Mit Beginn der Covid-19-Pan demie Anfang 2020 schien die Bürgerbeteiligung in Deutschland in Schockstarre gefallen zu sein. Doch das Bild trügt: Gerade Kommunen, die in Sachen Beteiligung und Engagement bereits gut aufgestellt waren, haben das Engagement und die Mitgestaltung ihrer Bürgerschaft auch während der Pandemiezeit nutzen können, um Demokratie und Zusammenhalt in schwierigen Zeiten zu stärken. Dennoch gilt: Insbesondere die Unzulänglichkeiten und unerwünschten Nebenwirkungen der Pandemiepolitik haben gezeigt, wie wichtig eine demokratisch aktive Bürgergesellschaft ist. Vor diesem Hintergrund knüpft die aktuelle Fassung der demokratiepolitischen Agenda an ihre Vorgängerin von 2014 an, indem sie fünf thematische Schwerpunkte hervorhebt, die besondere Aufmerksamkeit und gemeinsames Handeln erfordern. Ziel ist es, die von den Netzwerker/innen erarbeiteten Empfehlungen im Vorfeld der Bundestagswahl in die öffentliche Diskussion zur künftigen Ausgestaltung der Demokratie in Deutschland einzuspeisen. Dabei verknüpft die demokratiepolitische Agenda Forderungen an die Gesetzgeber und politischen Entscheidungsträger/innen in Bund, Ländern und Kommunen mit solchen an die Zivilgesellschaft selbst. Gelebte Beteiligung ist vor allem auf kommunaler Ebene von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung unserer Demokratie.

Diese erste Kernaussage illustrieren die Autor/innen des Papiers an einigen Beispielen. Ein wesentliches Anliegen von Bürgerbeteiligung muss es demnach sein, die Mitwirkung möglichst vieler unterschiedlicher Menschen zu ermöglichen. Breit angelegte Beteiligung und die Einbindung von schwer erreichbaren Zielgruppen sind deshalb ein wichtiges Ziel partizipativer Praxis. Erfreulich ist, dass es auf kommunaler Ebene einen deutlichen Zuwachs von Beteiligungsformaten mit inklusivem Anspruch gibt, diese müssen weiter ausgestaltet und genutzt werden. Zu einer lebendigen Beteiligungskultur gehören kommunale Partizipationsbeauftragte, die vor Ort für eine kontinuierliche und professionelle Bürgerbeteiligung sorgen und als Ansprechpartner/innen sowie als Bindeglied zwischen Verwaltung, Politik und Bürgerschaft dienen. Eine partizipative Stärkung der kommunalen Demokratie und Beteiligungskultur kann zudem nur gelingen, wenn sie von den Kommunalvertretungen gewollt wird.Hier gilt es für gewählte Gemeinderäte, »Beteiligungsbrücken« zu den Menschen in der Kommune zu bauen, wozu auch partizipativ erarbeitete kommunale Leitlinien für Bürgerbeteiligung gehören. Zugleich müssen Kommunalverwaltungen fit gemacht werden für den Ausbau von Bürgerbeteiligung. Mitarbeiter/innen benötigen entsprechende Handlungsspielräume und Kompetenzen, die ein obligatorischer Bestandteil der Verwaltungsausbildung sein sollten.

Die zweite Empfehlung der demokratiepolitischen Agenda plädiert für den massiven Ausbau der Kinder- und Jugendbeteiligung in Deutschland. Fakt ist: Mit dem Beitritt Deutschlands zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen im Jahr 1992 ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Belangen rechtsverbindlich vorgeschrieben. Dennoch gibt es bis heute noch erhebliche Umsetzungsdefizite. Für zukunftsfähige politische Entscheidungen ist es jedoch unabdingbar, Kinder und Jugendliche gleichberechtigt und wirksam zu beteiligen. Das Papier fordert Kommunen, Landkreise und Bundesländer auf, Kinder- und Jugendparlamente und andere Formen offener und projektorientierter Beteiligung flächendeckend zu ermöglichen.

Drittens ist für das Netzwerk Bürgerbeteiligung die Auseinandersetzung mit dem digitalen Wandel und dessen Gestaltung für die Entwicklung unserer demokratischen Kultur von essenzieller Bedeutung. Der voranschreitende Einsatz digitaler Technologien wirkt sich tiefgreifend und demokratierelevant auf nahezu alle Lebensbereiche der Gesellschaft aus. Auch die Gefahren für die politische Kultur sind unübersehbar. Offensichtlich wird dies beispielsweise, wenn Algorithmen und künstliche Intelligenz das Vertrauen der Bevölkerung in Wahlen, öffentliche Diskurse und demokratische Institutionen aushöhlen. Die digitale Kommunikation in den sozialen Medien verändert die für eine Demokratie unverzichtbare öffentliche politische Debatte. In einer fragmentierten Öffentlichkeit sind Polarisierung und Zuspitzung zu maßgeblichen Formen der Kommunikation geworden. Der Verlust von Wahrheit und gemeinsam geteilter Realität entwickelt eine zerstörerische Wirkung auf die offene und demokratische Gesellschaft. Die Veränderung trifft auch demokratische Rechte und Normen wie Gleichheit, Freiheit, Teilhabe, Transparenz oder Privatheit. Die Aufgabe wird sein, die Digitalisierung so zu gestalten, dass demokratische Prinzipien und Rechte gewahrt und weiterentwickelt werden. Grundlage für die gesellschaftliche Akzeptanz des digitalen Wandels ist eine intensive und glaubwürdige Beteiligung der Zivilgesellschaft, beispielsweise bei der Entwicklung von Städten zusog. »Smart Cities«.

Neben der Digitalisierung ist der Klimaschutz ein weiteres wichtiges Thema unserer Zeit. Um der Klimakrise zu begegnen bedarf es nach Auffassung des Netzwerks viertens solidarischer und demokratischer Handlungskonzepte auf allen politischen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Kontexten. Klimakrise und Klimaschutz haben Folgen für den Alltag und die Lebenswelt aller Menschen. Beteiligung kann hier Dialoge anstoßen und dazu beitragen, Ängste zu kanalisieren und Konflikte aufzubrechen. Es bedarf der Partizipation und Beteiligung an den Entscheidungen darüber, welche Maßnahmen ergriffen und wie sie umgesetzt werden sollen. Auch hier gilt: Insbesondere die Impulse der jungen Menschen müssen Gehör finden.

Nicht zuletzt spricht sich dasNetzwerk fünftens für den Ausbau von Bürgerbeteiligung auf Länderebene aus. Auch die Landesregierungen und Landesparlamente müssen intensiv daran arbeiten, ihre Einwohner/innen einzubinden, zum Beispiel durch die Etablierung von Bürgerforen. Darüber hinaus gilt es, die Beteiligung in planungsrechtlichen Verfahren weiter auszubauen. Erfahrungen in Baden-Württemberg im letzten Jahrzehnt haben zudem gezeigt, dass von einer beteiligungsorientierten Landespolitik auch starke Impulse für eine partizipative Kommunalpolitik ausgehen können.

Zum Schluss appellieren die Autor/innen an die Regierungen in Bund und Ländern, Stabs- oder Koordinierungsstellen in den Regierungszentralen einzurichten, die die jeweiligen Beteiligungsaktivitäten bündeln und sichtbar machen.Zurzeit sind etwa 800 Netzwerkerinnen und Netzwerker aus dem gesamten Bundesgebiet im Netzwerk Bürgerbeteiligung aktiv. Mehr Informationen über deren Arbeit im Netz unter www.netzwerk-buergerbeteiligung.de oder bei Marion Stock (stock@mitarbeit.de) in der Bundesgeschäftsstelle.

(aus: mitarbeiten 02/2021, Information der Stiftung Mitarbeit)

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