Die Kölner Freiwilligen Agentur vermittelt junge Leute zwischen 17 und 30 Jahren zum Internationalen Freiwilligendienst in elf Kölner Partnerstädte – von Lille über Peking bis nach Tel Aviv. Unter dem Motto „Let´s go Cologne“ bietet sie umgekehrt jungen Menschen aus den Partnerstädten die Möglichkeit, in Köln für ein gemeinnütziges Projekt im sozialen, kulturellen oder ökologischen Bereich zu arbeiten. Auf ihrer website schreibt sie: „Eine kleine Warnung vorab: Internationaler Freiwilligendienst hat nichts mit Ferien zu tun. Sie werden ein halbes oder ganzes Jahr in einer ausländischen Partnerstadt leben und arbeiten – genauso wie die Einheimischen. Wenn Sie sich entschieden haben, übernehmen Sie auch Verantwortung.“ Wichtige Voraussetzungen sind die Bereitschaft, eine Fremdsprache zu erlernen, aber auch Neugier auf andere Menschen und eine fremde Kultur.
Aktuell bietet die Kölner Freiwilligen Agentur 22 unterschiedliche Einsatzstellen in neun Ländern an, von Belgien bis zur Türkei. Die Freiwilligendienste starten in der Regel am ersten September.
„Wer sich für dieses Jahr bewerben will, kann das in jedem Fall jetzt noch tun. Normalerweise haben wir einen Planungsvorlauf von mehreren Monaten, wegen Corona sind die Zeiten aber verschoben. Wir planen jetzt die Einsätze in Absprache mit unseren internationalen Kooperationspartnern, damit es am ersten September möglichst losgehen kann. Natürlich kann aber niemand zu hundert Prozent garantieren, dass es wegen der Pandemie nicht zu Änderungen kommen kann“, sagt Geschäftsführerin Ulla Eberhard. Beim Lockdown im März habe die Kölner Freiwilligen Agentur bereits konkrete Erfahrungen gesammelt: „In dieser Ausnahmesituation haben wir gelernt, dass unsere internationalen Netzwerke und die Unterstützung durch staatliche Stellen stabil funktionieren. Deshalb führen wir das Programm fort.“
Betroffen von den Corona-Auswirkungen, aber dennoch tief beeindruckt von ihren Aufenthalten im fremden Land waren die 19jährige Kölnerin Lucia (Einsatzort: Haifa, Israel) und die 23jährige Russin Ksenia (Einsatzort: Köln). Anders als Lucia, deren Freiwilligendienst in Israel nach sieben Monaten Dienst in der Notaufnahme des Krankenhauses Carmel Medical Center Mitte März vorzeitig endete, konnte Ksenia in Köln bleiben, ihre Arbeit veränderte sich jedoch komplett.
Lucia wollte nach dem Abitur über einen längeren Arbeitsaufenthalt im Krankenhaus herausfinden, ob ein Medizinstudium das Richtige für sie sei. Vor ihrer Abreise nach Israel besuchte sie mehrere Vorbereitungstreffen. Ins Ausland und auch nach Israel sei sie bewusst gegangen „Ich wollte nicht in Köln bleiben, ich wollte etwas Neues sehen, und nach Israel fährt man natürlich nicht, ohne darüber nachzudenken“, sagt sie. Sie habe sich schon immer für Geschichte und Politik interessiert, und in den Vorbereitungstreffen habe die Kölner Freiwilligen Agentur alle Freiwilligen darauf hingewiesen, dass sie Botschafter*innen der Stadt Köln seien und auch Deutschland repräsentierten.
Ende August 2019 ging sie nach Haifa. Und weiß heute, dass sie „in jedem Fall“ Medizin studieren will. Am tiefsten beeindruckt habe sie die Vielfalt an Religionen und Kulturen, einfach an Menschen, die sie tagtäglich im Krankenhaus und auf der Straße gesehen habe: „Es gab Juden, Christen, orthodoxe Christen, es gab Muslime, Drusen, äthiopische und russische Juden. Es wird hebräisch, arabisch und auch viel russisch gesprochen. Es ist echt unglaublich, wie verschieden alle sind und dass es trotzdem klappt.“ Die ersten vier Wochen habe sie einen Hebräischkurs gemacht und spezielle Wörter fürs Krankenhaus gelernt. Trotzdem war der Anfang in der Notfallaufnahme schwer. Gemeinsam mit einem anderen Freiwilligen wurde sie einer Hilfsschwester zugeordnet, einer äthiopischen Jüdin, die nur hebräisch sprach. „Wir sind ihr erst mal wie kleine Entchen hinterhergelaufen. Sie hat uns ihren Ablauf und unsere Aufgaben gezeigt, wie sie die Wäsche faltet, das Essen austeilt.“
Die Kommunikation mit den Patient*innen sei spannend gewesen, am Anfang habe sie nur sagen können: „Bokhatov, Guten Morgen, es gibt Frühstück.“, aber da es viele Einwanderer gebe, seien alle daran gewöhnt, dass man nicht perfekt sprechen könne. Auf Ressentiments gegen sie als Deutsche sei sie nie getroffen, im Gegenteil sogar auf Neugierde und Respekt. Auch bei den Verantwortlichen im Krankenhaus habe sie immer Wohlwollen ihr gegenüber gespürt: „Die wollen, dass es einem gutgeht“. Und in der Notaufnahme habe sie sehr viel gelernt, sie sei nie weggeschickt worden, durfte auch bei Operationen zusehen. Nach einem dramatischen Fall sei anschließend der Chefarzt zu ihnen gekommen und habe gefragt, ob sie etwas brauchten. Doch seien sie sowieso nie sich selbst überlassen gewesen: Sie habe immer Kontakt nach Köln zur Kölner Freiwilligen Agentur gehabt und in Israel selbst gab es immer wieder Seminare für die Freiwilligen.
40 Stunden in der Woche hat Lucia im Krankenhaus gearbeitet, am Anfang sei sie oft auch müde gewesen. Doch sie war auch in der Stadt unterwegs, am Strand. Junge Israelis habe sie nur wenige kennengelernt, denn: „Alle Männer und jungen Frauen in unserem Alter sind beim Militär, sie sind einfach nicht da.“ Das israelische Lebensgefühl hat sie als locker und entspannt erlebt. Rückblickend sagt sie: „Am meisten habe ich durch das Zusammenleben in der WG gelernt, ich war zum ersten Mal auf mich allein gestellt, nicht bei Mama und Papa. Ich war im richtigen Arbeitsleben und wurde anders wahrgenommen. Man ist kein Kind mehr.“ Einen Internationalen Freiwilligenaufenthalt würde sie jedem weiterempfehlen. Auch wenn sie wegen Corona ihren Aufenthalt im März ungewollt beenden musste. Ihr freiwilliges Jahr macht sie jetzt im Klösterchen in der Severinstraße zu Ende.
Für Ksenia hingegen geht ihr sechsmonatiger Aufenthalt in Köln Ende Juni regulär zu Ende, doch die Corona-Epidemie veränderte auch ihr Arbeitsfeld:
Das inklusive „Sommerblut-Kulturfestival“, das sich die junge Russin gezielt ausgesucht hatte, fand im Mai nicht wie geplant live vor Publikum, sondern rein virtuell statt. Nach sechs Monaten Aufenthalt in Köln blickt sie dankbar zurück: „Ich habe mich immer für Theater und internationalen Austausch interessiert“, sagt sie. Dass sie nach einem Eignungs-Interview auf Deutsch via Skype mit Ulla Eberhard den Zuschlag bekommen habe, empfindet sie als Glück: „Wir haben nur ganz wenige inklusive Theater in Russland, und ich frage mich, wie es gelingen kann, dass es mehr werden. Vielleicht kann man auch eine Kooperation mit „Sommerblut“ machen, und sie treten nächstes Jahr in Russland auf.“ In Russland seien Menschen mit Behinderung öffentlich nicht sichtbar, sie säßen zu Hause und man wisse nicht, wie man mit ihnen umgehen und sprechen solle. Ihre Kölner Begegnungen mit behinderten Menschen, die an den Theater- und Kunstproduktionen teilnahmen, haben sie tief beeindruckt: „Du kannst über alles mit ihnen sprechen, sie sind so klug und sie machen Kunst.“ Ksenia, die ihren Uni-Abschluss in Philosophie über die „Kritik der Urteilskraft“ von Immanuel Kant gemacht hat, in der es um die Bedeutung von Phantasie und Vorstellungskraft für den Menschen geht, erinnert sich an einen Workshop mit Kindern und Jugendlichen in Köln: „Wir haben mit den Kindern getanzt, mussten die Augen schließen und den Raum spüren, das war echt schwer. Das war der Moment, in dem ich persönlich verstanden habe, dass Kunst Sinn macht.“ Aber auch sehr praktisches Wissen nehme sie mit nach Hause: In der Festivalvorbereitung nahm sie an allen Gesprächen mit den Künstler*innen und Fördermittelgebern teil und sie verstehe jetzt, wie die Organisation und Finanzierung eines Festivals funktioniere. Auch habe sie Fahrradfahren und Mülltrennung gelernt. Wieder zu Hause in Jekaterinburg wolle sie auch inklusives Theater machen, dort kenne sie eine Frau, die ein Projekt für Jugendliche mit Down-Syndrom leite. Und sie selbst wolle Schauspielunterricht nehmen. Dem Sommerblut-Team ist sie dankbar für alle Einblicke, die sie gewonnen hat. Sie schätzt, dass man in Deutschland über alles frei diskutieren könne, gleichzeitig habe sie sich auch bemüht, so viel wie möglich über Russland zu erzählen. Interessant für die Zukunft: In ihrer Heimatstadt Jekaterinburg findet alle zwei Jahre eine internationale „Biennale“ zu zeitgenössischer Kunst statt. Ihre Mutter, die in der Coronazeit Sorgen um sie hatte, konnte sie beruhigen. Die Kölner Freiwilligen Agentur und auch das Team vom Sommerblut habe sich immer um sie gekümmert, sie sei nie allein gewesen.
Das, so Geschäftsführerin Ulla Eberhard, sei das wichtigste Prinzip: Alle Freiwilligen werden vor, während und nach ihrem Aufenthalt durchgängig beraten und betreut.
Irmgard Schenk-Zittlau
Hintergrund
Der Internationale Freiwilligendienst ist für
• Menschen zwischen 17 und 30 Jahren
• aus Köln und Umgebung und seinen Partnerstädten
Er bietet:
• 6 bis 12 Monate Engagement
• in einem sozialen, kulturellen oder ökologischen Projekt
• Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld
• Versicherung und Urlaub
• Zuschuss zu Reisekosten und Sprachkurs
pädagogische Begleitung vor, während und nach dem Freiwilligendienst