Weniger Bürgerbeteiligung für schnellere Genehmigungsverfahren?

,
Bild: Verkehrsschild - geradeaus: Bürgerbeteilgung, rechts ab & durchgestrichen: Poliltikverdrossenheit
Foto: Marco2811 – Fotolia

Braucht es wirklich weniger oder doch eine Art der Bürgerbeteiligung für schnellere Planungs und Genehmigungsverfahren?

Mit dem Übereinkommen von Paris haben sich die Staaten verpflichtet, die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2°C, besser 1,5°C zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es jedoch einen immensen und schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Infrastruktur, welcher in einem Spannungsverhältnis mit einer guten Bürgerbeteiligung steht.
Deutschlands Ausbauziele für die Erneuerbaren Energien
Um Deutschlands Ausbauziele für die Erneuerbaren Energien zu erreichen, müssen jedoch zahlreiche neue Projekte, beispielsweise Windparks, geplant, genehmigt und gebaut werden. Gerade hier hakt es jedoch bereits seit Jahren. Erst Mitte Juli 2022 haben der Bundesverband Windenergie und der Fachverband VDMA Power Systems Mitte Juli bekannt gegeben, dass in Deutschland im ersten Halbjahr 2022 nur so viele Windräder wie auch im Vorjahreszeitraum installiert wurden. Verbände haben die Politik deshalb aufgefordert, dringend weitere Reformen auf den Weg zu bringen. Nach ihrem Willen sollen insbesondere die Genehmigungsverfahren deutlich verkürzt werden.

Schnellere Verfahren durch weniger Öffentlichkeitsbeteiligung?
Darüber, wie die Planungs und Genehmigungsverfahren weiter beschleunigt werden können, herrscht hingegen große Uneinigkeit. Ein Gutachten der Wirtschaftskanzlei Luther, das im Auftrag des Verbands der Chemischen Industrie angefertigt und im Februar 2022 veröffentlicht wurde, hat für Aufsehen gesorgt, weil die Kanzlei insbesondere vorschlägt, die Öffentlichkeitsbeteiligung zu

reduzieren. Die Verfasserinnen und Verfasser des Gutachtens schlagen hierfür vor, den Erörterungstermin im umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz abzuschaffen. Sie argumentieren, dass dieser Termin zum mündlichen Austausch über vorgebrachte Einwendungen gegen ein Projekt nicht durchgeführt werden müsse. Grund hierfür ist, dass eine mündliche Beteiligung auch nach EURecht nicht zwingend notwendig. Es sei ausreichend, wenn sich die Öffentlichkeit mit Stellungnahmen in Textform beteiligen könne. Auch deshalb bewerten die Verfasserinnen und Verfasser des Gutachtens die bisherige Verfahrenspraxis als besonders zeitintensiv. Besonders betroffen seien die knappen Ressourcen der Genehmigungsbehörden und der Vorhabenträger. Gerade die Vorbereitung des Erörterungstermins nehme „regelmäßig viel Zeit“ in Anspruch.

Daneben plädieren die Verfasserinnen und Verfasser dafür, dass schon der Schwellenwert, abwelchem überhaupt erst eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren erfolgen
muss, angehoben werden solle. Derzeit muss ein förmliches Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung eingeleitet werden, sobald mind. 20 Windkraftanlagen im Rahmen eines Projekts genehmigt werden sollen. Würde man diesen Schwellenwert beispielsweise auf 30 Windenergieanlagen anheben, müsste bei einer Genehmigung von 25 Windenergieanlagen die
Öffentlichkeit nicht mehr beteiligt werden. Mit dieser Maßnahme könnten somit bürokratische Hürden für die Genehmigung von Windprojekten bis zu einer bestimmten Größe weiter ab-
bauen.

Verzögerung der Planungs und Genehmigungsverfahren durch Öffentlichkeitsbeteiligung
Einwendungen von Gegnerinnen und Gegnern im Planungs und Genehmigungsverfahren so-
wie die Klagen gegen und lange Rechtsstreitigkeiten um Genehmigungen werden schon länger in Medien, von der Politik und auch von Expertinnen und Experten als Ursachen für die Verzögerungen beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Infrastruktur diskutiert. Gerade die umfängliche Öffentlichkeitsbeteiligung und zum Teil anschließende Rechtsstreitigkeit haben Planungs und Genehmigungsverfahren derart komplex werden lassen, dass sie in den letzten Jahren vermehrt von hochspezialisierten Rechtsanwaltskanzleien begleitet worden sind. Die Dauer und die Komplexität von Planungs und Genehmigungsverfahren zu reduzieren, ist daher ein schon länger geäußertes Anliegen von Vorhabenträgern. Dass die Wirtschaftskanzlei nun
zu dem Schluss kommt, dass gerade die Öffentlichkeitsbeteiligung reduziert werden könne, ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich.
Ob jedoch ausgerechnet die mündliche Beteiligung abgeschafft werden sollte, weil man es darf, sollte sorgsam abgewogen werden. Schließlich ermöglicht es auch eine spontane und mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Hiermit könnte ein weiterer Akzeptanzverlust auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger einhergehen. Gerade diese Akzeptanz braucht es jedoch angesichts der Herausforderungen und Aufgaben. In dem Gutachten heißt es hierzu jedoch, dass der Erörterungstermin häufig keine neuen Erkenntnisse mit sich bringe. Vielmehr könne er bei kontroversen Vorhaben die Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllen, weil die Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt mit einer bereits feststehenden Projektplanung und einem Rechtsanspruch des Vorhabenträgers auf Genehmigungserteilung konfrontiert werde, wenn das Projekt die gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Im Umkehrschluss kann man hieraus ziehen, dass mündliche Erörterungstermine sinnvoll sein könnten, wenn sie stattfänden, bevor die Projektplanung abgeschlossen ist, sodass Vorhabenträger noch die Einwände der Öffentlichkeit

berücksichtigen können. Dies schlägt auch das Gutachten vor. Nicht zu verkennen ist zudem, dass die Erörterungstermine schon nach geltendem Recht nicht mehr zwingend durchgeführt werden müssen. Jedoch ist die Durchführung eines Erörterungstermins in der Praxis im förmlichen Verfahren noch immer der Regelfall. Schließlich wird mit einem Erörterungstermin das Ziel verfolgt, mehr Transparenz, Kontrolle und auch Akzeptanz zu erreichen.
Mehr Akzeptanz durch eine andere Art Beteiligung?
Statt die Öffentlichkeitsbeteiligung zu reduzieren, könnte man sich auch fragen, welche Maßnahmen die Bürgerinnen und Bürger vor Ort für ein Projekt mobilisieren. Ausgerechnet eine Kommune aus Bayern, einem Bundesland, in dem der Ausbau der Windenergie seit Jahren ausgebremst wird, könnte hier Modell stehen. Das Geheimnis des Dorfes Wildpoldsried ist, dass die Bürgerinnen und Bürger hier nicht nur von Anfang an eingebunden wurden, sondern sie die Verfahren selbst auf den Weg gebracht haben. Der Ausbau der Windenergie wurde mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger finanziert, die wieder Energie beziehen konnten und auch finanziell beteiligt wurden Bürgerenergie. Heute gibt es hier mehr Interessenten für die Umsetzung neuer Projekte als Bedarf. Das aktuelle Energierecht bremst solche Initiativen mit bürokratischen Hürden aktuell jedoch noch aus. Einer der Initiatoren der Bürgerenergie vor Ort hat daher in der Zeit vom 25. August 2022 Vorrang für solche Projekte gefordert.
Der erforderliche Ausbau der Erneuerbaren Energien und Infrastruktur braucht Akzeptanz
Das Beispiel Wildpoldsried zeigt, dass man tatsächlich mehr Akzeptanz durch Beteiligung er
reichen kann wenn es denn die richtige Beteiligung ist. Welcher dieser Ansätze Beteiligung zu reduzieren oder generell auf eine andere Form der Beteiligung zu setzen der bessere ist, lässt sich vermutlich nicht pauschal beantworten, sondern wird von den Gegebenheiten vor Ort abhängen. Andererseits ist die Zeit für Experimente vorbei. Die Klimakrise drängt und der Ausbau der Erneuerbaren Energien hätte besser vorgestern als morgen erfolgen müssen. In Anbetracht der großflächig fehlenden Akzeptanz erscheint es jedenfalls zielführender, wenn nicht auf weniger, sondern eine andere Form der Beteiligung gesetzt wird. Nicht nur können die Bürgerinnen und Bürger dann mitgestalten, wie das Projekt vor Ort realisiert wird, es wird auch zu ihrem Projekt und kann damit Identifikation hervorrufen. Im Kleinen, für die Windenergieanlage vor Ort, wie im Großen, für die Transformation Deutschlands.
MJ

Neuste Beiträge