Manchmal kündigen sich Veränderungen nur in kleinen Details an, bevor dann irgendwann alles ganz schnell geht und Tatsachen geschaffen werden. So auch im Fall eines 6000 Quadratmeter großen Geländes mitten in Düsseldorf – zwischen der Kiefern- und der Erkrather Straße gelegen.
Menschen aus der Kiefernstraße, stadtweit bekannt durch ihre von Hausbesetzungen geprägte Vergangenheit und eine aktiv engagierte Bewohner:innenschaft, wurden 2017 stutzig, als eine kleine, scheinbar gut gehende Autowerkstatt auf dem Gelände plötzlich ihre Pforten schloss und beschlossen dieser merkwürdigen Entwicklung nachzugehen.
Man erfuhr schließlich, dass das Gelände, die Parkfläche eines angrenzenden Fachmarktzentrums, an einen Investor verkauft wurde und dort ein Hotel sowie Mikroappartements (kleine, fertig eingerichtete Wohnungen, die zumeist zu horrenden Preisen vermietet werden) geplant waren. In der Kiefernstraße formierte sich Widerstand gegen diese „Luxusbauten“ direkt vor ihrer Haustür. Zu diesem Zeitpunkt gab es in der unmittelbaren Nachbarschaft der Kieferstraße mindestens zwei weitere Großinvestorenprojekte bei denen ehemalige Industrieflächen in Hotels umgewandelt werden sollten.
Man stelle sich nicht gegen Wohnungsbau, der in Düsseldorf, wie auch anderenorts, dringend gebraucht werde, sondern gegen die Ausbeutung der Wohnungsnot durch Investoren, die, statt bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, auf zweifelhafte Methoden wie etwa den Bau von Mirko Appartements setzten und das Problem so vergrößerten. Auf diese Weise würden keine neuen Nachbarschaften entstehen, sondern lediglich seelenlose Investmentobjekte mit einer hohen Fluktuation an Menschen.
Um die Geschichte in einen größeren Kontext einzubetten: Die Kiefernstraße ist eine kleine Besonderheit in Düsseldorf: Anfang des 20. Jahrhinderts wurden die Wohnhäuser auf der Kiefernstraße und den angrenzenden Straßen als klassische Arbeitersiedlung von der dort ansässigen Düsseldorfer Eisen- und Drahtindustrie AG gebaut. In den 1970er Jahren wurde das Werk geschlossen und die Siedlung an die Stadt Düsseldorf verkauft, deren Planungen einen Abriss der Wohnungen und einen die Errichtung eines neuen Gewerbegebiets vorsah. Auf Grund der auch damals schon vorherrschenden Wohnungsnot in der Stadt wurden einige der bereits leerstehenden Wohnungen besetzt und die Initiative „Aktion Wohnungsnot e.V“ trat in Verhandlungen mit der Stadt um die Besetzung in legale Wohnverhältnisse zu überführen. Zunächst reagierte die Stadtverwaltung erwartungsgemäß mit Strafanzeigen gegen die Besetzer:innen. Ende der 1980er Jahre, nach diversen Aktionen und Demonstrationen der Menschen aus dem Siedlungsgebiet um die Kiefernstraße und deren Unterstützer:innen, wurden tatsächlich „sozialverträgliche“ Mietverträge mit der Stadt unterzeichnet. Und so gibt es die Kiefernstraße und ihre bunte, aufmerksame und widerständige Bewohner:innenschaft, inklusive dort ansässiger sozialer und kultureller Projekte, heute noch. Entsprechend dieser Vorgeschichte sind die Menschen in der Kiefernstraße vielleicht ein klein wenig aufmerksamer was mit der Stadt um sie herum geschieht und versuchen die Dinge selbst in die Hand zu nehmen:
Zunächst mussten natürlich die Investoren ausfindig gemacht werden – ein offenbar gar nicht so einfaches Unterfangen. 2019 kam es dann zu ersten Annäherungsversuchen zwischen den Aktivist: innen und der Investorengruppe. Es folgten unzählige Gespräche mit der Investorengruppe, Stadtverwaltung und Politik, Unterschriftenaktionen, Kunstaktionen, Demonstrationen, Petitionen etc. um auf die Situation aufmerksam zu machen und im sie, um besten Fall, abzuwenden. Wie bereits erwähnt ging es den Menschen aus der Kieferstraße dabei eben nicht darum eine Entwicklung des Geländes per se zu blockieren, sondern diese gemeinwohlorientierter zu gestalten – und tatsächlich schaffte es die Gruppe ein gewisses Momentum aufzubauen, sodass die Bebauungspläne erneut in den politischen Gremien zur Debatte gemacht wurden. Erstaunlich an dieser Situation ist, dass anders als in vielen ähnlichen Situationen, eine Gesprächsbereitschaft zwischen allen Beteiligten bestand und auch die Investorengruppe an einer zufriedenstellenden Lösung interessiert zu sein schien. Nach mehreren von allen Seiten als konstruktiv beschriebenen Gesprächsrunden wurden die Bebauungspläne durch den Investor tatsächlich überarbeitet: Die ursprüngliche Planung einer Hotels wurde aufgegeben, die Anzahl der Mikro Appartements reduziert und stattdessen ein Anteil an gefördertem Wohnraum, barrierefreien Wohnungen für Senior:innen, Ateliers für Studierende und Gemeinschaftsräume vorgesehen.
Doch das soll noch nicht das Ende der Geschichte gewesen sein: Die Menschen aus der Kiefernstraße und ihr Unterstützer:innenkreis gingen sogar noch einen Schritt weiter und forderten ihr „Recht auf Stadt“ in Form eine aktive Beteiligung der Bürger:innenschaft an den weiteren. – Und auch dies mit Erfolg. Stadt und Investor ließen sich auf diese Forderung ein und gaben den nötigen Freiraum. Auf dem brachliegenden Gelände richtete die Gruppe engagierter Düsseldorfer:innen im Jahr 2020 in der mittlerweile geschossenen Autowerkstatt einen Raum ein, der mehrfach in der Woche als Treff- und Informationspunkt für alle Interessierten geöffnet war – die Planwerkstatt 378 war geboren und mit ihr ein Ort in dem politische Teilhabe an der Stadtentwicklung gelebt werden sollte. Zusammen mit Vertreter:innen des Projektentwicklers, sowie aus der Stadtverwaltung und mit der Hilfe einer neutralen externen Moderation wurde im Folgenden zu mehreren öffentlichen Veranstaltungen geladen, in deren Rahmen die konkreten Vorstellungen zur zukünftigen Nutzung des Areals diskutiert werden sollten. Am Ende des Prozesses stand ein neuer Planungsentwurf, in dem nun neben den bereits weiter oben im Text erwähnten Nutzungen unter anderem auch weitere öffentlich zugängliche Flächen enthalten waren. Die größte Errungenschaft für die Aktivist:innen war jedoch das Zugeständnis der Investoren die Detailplanung und Bespielung eines 400 Quadratmeter großen Teils des Geländes in die Hände eines gemeinwohlorientierten Trägers zu übergeben. – Der Haken daran: Der dafür vorgesehene Teil des Grundstücks sollte von eben jener gemeinwohlorientierten Struktur von der Investorengruppe zum Einkaufspreis zurückgekauft werden um ihn am Anschluss eigenständig entwickeln zu können, mit der zusätzlichen Bedingung, dass die Bebauung des Teilstücks gleichzeitig mit dem Bau der restlichen, durch den Investor geplanten Gebäude erfolgt.
Voller Enthusiasmus die nötigen finanziellen Mittel im Laufe des Prozesses auftreiben zu können und den Auflagen des Investors entsprechen zu können, begann man auf Seiten der stadtgesellschaftlichen Akteure Pläne zur Ausgestaltung dieser 400 Quadratmeter zu schmieden: Hier sollten Räume für das soziale Miteinander der Nachbarschaft entstehen, vielleicht ein Café, möglicherweise eine Selbsthilfewerkstatt? Ein Name war ebenfalls schnell gefunden: K22, angelehnt an die beiden prestige-trächtigen Museen Düsseldorfs, das K20 und das K21 in denen wichtige Positionen der Kunst aus dem 20. Und 21 Jahrhundert gezeigt werden, sollte das K22 als ein Zentrum für gesellschaftlichen Aufbruch und das kollektive Mitgestalten der Zukunft unserer Städte stehen. Die Finanzierung sollte durch einen Mix aus Spenden, Kooperationen und Fördergeldern der Stadt Düsseldorf und des Bundes gestemmt werden.
Was ist nun aus den Ambitionen um das K22 geworden? Wo steht die Initiative heute, 2023, satte sechs Jahre nach den ersten öffentlichen Anzeichen der Veränderungen zwischen Erkrather- und Kiefernstraße?
Nun – Leider gibt es derzeit keine an die Euphorie und Aufbruchstimmung der Initiative anknüpfenden Nachrichten. Trotz mehrerer Verhandlungsrunden mit der Stadt Düsseldorf wurden von Politik und Verwaltung keine Mittel zur Unterstützung der gemeinwohlorientierten Nutzung freigegeben. Der Kaufpreis sei den Menschen der Planwerkstatt weiterhin unbekannt, sodass ein öffentliches Kaufangebot über die Summe von 250 000€, Geld, das mit Hilfe von Spenden gesammelt wurde, an den Investor unterbreitet wurde. Dieses bleibt weiterhin unbeantwortet. Zudem wurde bekannt, dass mittlerweile auch das angrenzende Fachmarktzentrum – das B8, von derselben Investorenfirma erworben wurde um auch dieses unter dem Projektnamen „Gemeinschaftswerk Flingern“ zu entwickeln. Das Projekt sei von Seiten des Investors, basierend auf den Erfahrungen mit der Planwerkstatt 378, von Beginn an als „kooperatives Planverfahren“ ausgerichtet.
Die Frage ob der Ausgang des Prozesses, in dessen Zentrum die Planwerkstatt 378 steht, von den Aktivist:innen nun als Erfolg oder Niederlage gedeutet wird, ist schwierig zu beantworten.
Festhalten lässt sich wohl, dass es den beschriebenen Prozess ohne den Widerstand der Menschen aus der Kiefernstraße nie gegeben hätte. Das Bauprojekt wäre eines von unzähligen, wie sie überall im Land stattfinden: An Investoren verkauft und zur reinen Profitmaximierung entwickelt, ohne große Rücksicht auf die bereits vor Ort existierenden nachbarschaftlichen Strukturen nehmen zu müssen. Natürlich war und bleibt die Intention des Projektentwicklers der finanzielle Gewinn und ohne die Dialogbereitschaft auf Seiten des Investors hätte es die Planwerkstatt 378 niemals gegeben und sämtlicher Protest wäre früher oder später den aus Beton gegossenen Tatsachen gewichen.
Auch kann die Frage gestellt werden, inwiefern das Angebot des Investors zur Übernahme des Grundstücks nicht ein bloßer strategischer Schachzug war – ein nur scheinbares Zugeständnis um die Wogen zu glätten, wohlwissend, dass die an eine Übernahme geknüpften Bedingungen in der gegebenen Zeit ohnehin nicht erfüllt werden können? – Dieser Gedanke kann natürlich nur reine Spekulation bleiben.
Sicher ist aber, dass die Menschen aus der Kiefernstraße und ihre Unterstützer:innen eines geschafft haben: Sich Gehör zu verschaffen und zumindest für die Zeit der Planwerkstatt ein Stück weit einen Möglichkeitsraum zu öffnen, in dem Stadt ein gemeinschaftlich konstruierter Raum ist, dessen Gestaltung sich unmittelbar an den Wünschen und Bedürfnissen der dort lebenden Menschen orientiert. Wie? – Durch den Glauben an die eigene Selbstwirksamkeit und gemeinsames koordiniertes Handeln. Solche Prozesse bedeuten allerdings allem Voran eines: Kommunikation – In Form von Aushandlungsprozessen, in denen unterschiedlichste Perspektiven berücksichtigt werden und an deren Ende eine am Gemeinwohl orientierte Lösung stehen sollte. Unabdingbar ist eben aber auch die Bereitwilligkeit der Entscheider:innen sich Zeit zu nehmen für Dialogprozesse, die Anregungen ernst zu nehmen, statt lediglich Schein-Beteiligungen durchzuführen um Protesten vorzubeugen. Was allerdings oft auch Seiten der hauptamtlichen Berufplaner:innen nicht gesehen wird, sind die unzählbaren Stunden an ehrenamtlicher Arbeit, die stadtgesellschaftliche Aktivist:innen im Rahmen solcher Projekte aufbringen. Was für die einen schlicht zum bezahlten Arbeitsalltag gehört, ist für Menschen in Initiativen Freizeit – also Zeit, die sie zusätzlich zu ihrer Lohnarbeit freischaufeln und die wohl kaum als erholsamer Ausgleich zum Arbeitsalltag bezeichnet werden kann. Auch hier in Köln können wir immer wieder beobachten, dass Aushandlungsprozesse zwischen Initiativen und Entscheider:innen auf lange Sicht gesehen oft abflauen – aus dem einfachen Grund, dass den oft jahrelang freiwillig engagierten Menschen irgendwann die Puste ausgeht um sich immer wieder von Neuem vor Verwaltungsapparaten oder Konzernstrukturen zu behaupten.
Hinzu kommt das feinfühlige ein Gespür der Menschen aus der Kieferstraße für Veränderungen in ihrer Nachbarschaft. Es darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass der von den Menschen aus der Kiefernstraße angestoßene Beteiligungsprozess bottom-up, durch das Aufbegehren der Stadtgesellschaft initiiert wurde. Weder von Seiten der Stadt (es handelt sich bei dem Gelände um privaten Grund) noch von Seiten des Investors war eine Befragung der Menschen vor Ort vorgesehen. Hier war das timing mit entscheidend: Zu einem späteren Zeitpunkt hätte sich das Projekt womöglich in einer fortgeschrittenen Planungsphase befunden. Alle Beschlüsse wären bereits befasst worden, alle Genehmigungen erteilt, sodass eine Revision in den politischen Gremien wohl kaum möglich gewesen wäre. Hier kommen also schlussendlich verschiedene Faktoren zusammen, deren Zusammenwirken zur Existenz der Planwerkstatt 378 und dem Beteiligungsprozess geführt haben.
Dieser Artikel kann also keine Blaupause sein zur Durchsetzung der eigenen Ansprüche an das „Recht auf Stadt“, aber dennoch als Inspiration dienen die Hoffnung und den Mut nicht zu verlieren, dass gemeinsames Handeln stark macht. Im Fall der Planwerkstatt sogar so stark, um es mit scheinbar übermächtigen Investoren aufzunehmen und für die eigenen Ideen einzustehen. Wir hoffen, dass nicht nur die ohnehin schon in Kölner Initiativen aktiven Menschen diesen Artikel lesen und daraus für ihr eigenes Handeln Kraft schöpfen, sondern auch Menschen, die in diesem Artikel als „Entscheider:innen“ genannt werden – auf dass auch Sie bereit sind nicht nur zuzuhören, sondern sich für die Belange ihrer Mitbürger:innen im Namen des Gemeinwohls einzusetzen und mit einer Haltung der gegenseitigen Wertschätzung, statt der gefühlten mentalen Trennung in die scheinbar konkurrierenden Felder „Stadt“, „Gesellschaft“ und „Verwaltung“.
Eine genaue Chronologie des Prozesses können Sie unter folgendem Link abrufen:
https://kiefern.org/wp-content/uploads/2020/03/Planung_StatusQuo_CRE-Kiefernstra%C3%9Fe.pdf
Zur website der Planwerkstatt gelangen Sie hier:
https://planwerkstatt-duesseldorf.de/
Wo Sie ebenfalls eine detaillierte Broschüre zum Konzept des K22 finden können:
https://planwerkstatt-duesseldorf.de/k22
Eine Projektbeschreibung der Vision des K22 finden Sie hier:
https://kiefern.org/wp-content/uploads/2021/03/K22_Kurzbeschreibung.pdf
Informationen zum Projekt „B8“ des Investors Cube Real Estate:
https://www.gemeinschaftswerk-flingern.de/
LK