11.März 2020: Gestern Abend hat die griechische Regierung beschlossen, alle Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen für zwei Wochen zu schließen, um präventiv eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Auch das Alpha-Center, in dem die meisten Aktivitäten der Samos Volunteers stattfinden, ist davon betroffen. Damit rückt Corona innerhalb einer Woche von Tagesordnungspunkt 10 auf TOP 1.
Es ist still, sehr still an diesem Nachmittag im Alpha-Zentrum. Statt der sonst lauten, wuseligen Menge an teetrinkenden, schachspielenden, im Gespräch vertieften oder einfach nur erschöpft schauenden Menschen sitzen heute 40 Freiwillige im Eingangsraum. Geschockt hören wir den Koordinator*innen zu. „Griechenland will aus den Fehlern der anderen Ländern lernen und sich frühzeitig gegen die Ausbreitung des Coronavirus wappnen. Es gibt aktuell keinen bestätigen Fall von Corona auf Samos, aber wir haben uns an die landesweiten Regelungen zu halten.“ berichten sie aus einem morgendlichen Meeting mit der Verwaltung. „Bildungseinrichtungen müssen für zwei Wochen schließen, daran führt kein Weg vorbei.“
Es ist offensichtlich, dass das Ausmaß der Sicherheitsmaßnahme nur langsam allen klar wird. „Können wir die Zeit nutzen und hier einmal gründlich renovieren?“ – „Nein, das Zentrum muss geschlossen bleiben.“. „Können wir Angebote in der Nähe des Camps machen?“ – „Nein, öffentliche Versammlungen sind verboten.“. „Ab wie vielen Personen spricht man von einer ‚öffentlichen Versammlung‘?“ – „Das ist nicht gesagt wurden. Aber wir gehen davon aus, dass keine Aktivität in Gruppen gewünscht ist und respektieren das. Denkt daran: Letzte Woche wurde deutlich, dass unser Engagement nicht immer willkommen ist. Wir wollen in keinster Weise provozieren.“ „Es gibt hier so viele andere Initiativen auf der Insel. Können wir uns dort engagieren?“ – „Nein, sie mussten fast alle schließen.“.
Irgendwann ist durchgedrungen, dass unsere Arbeit tatsächlich vorerst beendet ist. Vorerst bedeutet zwei Wochen mit Sicherheit. Aber die Vermutung liegt nahe, dass daraus vier, sechs, acht oder noch mehr Wochen werden können.
„Um es einmal ganz klar zu sagen: Ihr könnt hier nichts mehr machen.“ fasst einer der Koordinatoren zusammen. Jetzt fließen Tränen. All die angefangenen Projekte, die für Sprachtests angemeldeten Schüler*innen, die aufgedrehten Kindergruppen im Keller; die fast ununterbrochen ratternden Nähmaschinen; die Musikkurse, die nicht unter Weltmusik laufen aber es tatsächlich sind; die vielen Menschen, die täglich in Alpha einen Platz zum Ausruhen, reden und lachen finden – das hört jetzt einfach so auf? Trotz der offensichtlichen Not? Ja.
„Die Samos Volunteers werden in den nächsten Wochen ihr Angebot auf die Wäscherei beschränken müssen. Dafür brauchen wir nicht so viele Freiwillige, da die Kapazitäten durch die fünf Waschmaschinen begrenzt sind.“ beschreibt eine Koordinatorin das Angebot in den nächsten Wochen.
Wie geht es jetzt weiter? Diese Überlegungen werden in zwei Gruppen angestellt, den External und den Community-Volunteers. Das ist die Realität: Menschen mit und ohne Fluchterfahrung engagieren sich gemeinsam bei den Samos Volunteers. Aber die einen können die Insel jederzeit verlassen, die anderen nicht.
In unserer Runde ist eine entscheidende Frage die Verantwortung gegenüber denjenigen, die auf der Insel leben. Das Gesundheitssystem auf Samos ist völlig überlastet, es wurde nicht angepasst an die mehr als 7000 unfreiwillig im Camp Lebenden. Sollen wir Freiwilligen zu einer weiteren Überforderung beitragen, wenn wir hierbleiben und eventuell erkranken? Oder ist es nicht sinnvoller, auszureisen und in ein paar Wochen, wenn die Arbeit hoffentlich wieder aufgenommen werden kann, zurückzukommen? Und ganz ehrlich: Wollen wir nicht lieber im Krankheitsfall zu Hause sein, in der vertrauten Umgebung und mit einer vermutlich besseren Versorgung? Was machen wir, wenn Samos unter Quarantäne gestellt wird und wir nicht mehr ausreisen können? Und immer wieder die Fragen, was mit unseren Kolleg*innen passiert, die auf Samos bleiben müssen, wie wir sie unterstützen können.
Die Fragen bleiben erst mal offen.
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Zum Vergleich: Der Einsatzplan der Samos Volunteers am 11.03.2020:
Der Einsatzplan der Samos Volunteers am 12.03.2020:
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Buchtipp: Der Soziologe Jean Ziegler beschreibt in seinem grade erschienenen Buch „Die Schande Europas – Von Flüchtlingen und Menschenrechten“ über die Bedingungen im Camp Moria auf Lsesbos und die politischen (Hinter-)gründe für die Situation der Flüchtlinge. Der Journalist Martin Gerner gibt eine gute Zusammenfassung im Bayrischen Rundfunk. Link zur Besprechung
Am 11.März 2020 fand unter dem Titel „Europe Calling Extra “Europas Schande – Direkt aus dem Lager Moria auf Lesbos” eine Online-Diskussion mit Erik Marquardt (Mitglied im Europaparlament und aktuell auf Lesbos), Carolin Emcke (Journalistin) und Carola Rackete (Sea-Watch) statt. Hier die Aufzeichnung: Link
Die Vereinigung von Juristen auf Samos hat sich in einem Statement gegen die Angriffe auf Menschen und Organisationen, die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzen, gewendet. Link zu Samos Today
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Zur Autorin: Gabi Klein ist Mitarbeiterin der Kölner Freiwilligen Agentur. Im März und April 2020 macht sie „Homeoffice“ auf Samos und zeitgleich ihren zweiten Volunteereinsatz bei den Samos Volunteers.