Wie Corona Leben verändert – Interview mit einer engagierten DUO-Freiwilligen

„Was für uns viel greifbarer ist, ist für Frau Schmitz viel weiter weg, weil sie immer wieder vergisst.“ Astrid* (31) besucht seit einem Jahr Frau Schmitz* (77), die an einer dementiellen Erkrankung leidet. Über den häuslichen Unterstützungsdienst DUO haben sich die beiden damals kennengelernt. Corona hat ihre Leben verändert. Wie? Das erfahren wir in diesem Interview mit Astrid.

„DUO – Schöne Stunden für Menschen mit Demenz“ vermittelt engagierte Freiwillige, die Menschen mit Demenz in ihrer häuslichen Umgebung besuchen, um gemeinsam Zeit miteinander zu verbringen. Das Projekt läuft in Kooperation der Kölner Freiwilligen Agentur und dem ASB Köln. Grund für die Besuche sind die oft mit der Erkrankung einhergehende Reduzierung der sozialen Kontakte sowie die Entlastung der Angehörigen.

 

Liebe Astrid, was hat sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie an deinen Besuchen bei Frau Schmitz verändert?

Erstmal ganz viel. Wir haben uns gar nicht mehr gesehen. Ich habe versucht, mit Frau Schmitz telefonischen Kontakt zu halten, aber das hat nicht gut funktioniert, weil sie sehr kurz angebunden war. Sie braucht es, dass sie mich sieht und dass ich körperlich anwesend bin. Als ich sie neulich wieder besuchte, wollte sie mich direkt in den Arm nehmen. Als ich ihr dann gesagt habe, dass wir wegen Corona vorsichtig sein müssten und Abstand halten sollten, hatte sie das auch direkt wieder auf dem Schirm. Die Telefonate klappten einfach nicht gut, weil sie sich nicht mehr an das erinnert, was sie am Tag gemacht hat und so auch nichts erzählen konnte. Wir sprachen dann nur kurz über das Wetter und wie es uns geht. Normalerweise unterhalten wir uns über das, was im Moment geschieht. Wir gehen ins Museum, ins Kino oder machen Spaziergänge. Darüber können wir uns dann austauschen. Das fiel beim Telefonieren komplett weg.

 

Was war deine Motivation trotz Corona deine Besuche bei Frau Schmitz wieder aufzunehmen?

Ich wollte Frau Schmitz wiedersehen, weil der telefonische Kontakt nicht gut funktionierte. Sie hat sonst als Ansprechpartner nur ihren Ehemann, und dieser war zu der Zeit auch gesundheitlich eingeschränkt und dadurch zusätzlich belastet.

 

Gab es Hürden, die überwunden werden mussten, um die Besuche fortführen zu können?

Wir sind jetzt nur draußen und gehen spazieren.

Nachdem wir uns wiedergesehen haben, habe ich eine Veränderung bemerkt. Frau Schmitz hat sich in den anderthalb Monaten, die wir uns durch Corona nicht sehen konnten, emotional von mir entfernt. Sie trifft mich nicht mehr so gerne und kann nicht mehr so viel mit mir anfangen. Es ist mittlerweile besser geworden, weil wir uns jetzt wieder regelmäßig sehen, aber unser Kontakt ist noch nicht wieder so gut wie vor Beginn der Corona-Krise. Da haben wir mehr gelacht und ihr Humor kam sehr viel mehr zur Geltung. Langsam kommt das wieder, aber es wird wohl noch ein bisschen Zeit brauchen, unsere Beziehung wieder aufzubauen. Aber das ist auch ok. Es ist ja für uns alle eine außergewöhnliche Zeit. Man fügt sich gut in eine Krise ein, aber man fügt sich nicht so leicht wieder heraus. Das braucht Zeit.

Wenn ich Frau Schmitz abhole und wir in der Wohnung sind, trage ich eine Maske und wir können gut zwei Meter Abstand halten. Ich gucke dann, dass Frau Schmitz eine saubere Maske mitnimmt. Bevor wir das Haus verlassen, packt sie immer ihre Tasche. Die Tasche packen war sowieso schon schwierig. Jetzt muss noch die Maske dazu. Die Routinen, die ihr helfen und auch gut sind, werden dadurch verändert und aufgebrochen. Das verwirrt sie zusätzlich.

Ich versuche momentan, nicht mit ihr in Geschäfte oder Cafés zu gehen, damit sie sich mit der Maske nicht auseinandersetzen muss. Das verunsichert sie. Ich gehe dann ohne sie einen Kaffee für uns beide holen. Beim Spaziergang können wir in der Regel gut Abstand halten. Ich muss dabei nur sehr aufmerksam sein, weil es schon passieren kann, dass sie mal stolpert und dann muss ich bei ihr sein.

 

Was bedeutet die Corona-Zeit speziell für Menschen mit Demenz aus deiner Sicht?

Unruhe, Unsicherheit und „ein ständiges auf der Hut sein“ aufgrund der ungewohnten Veränderungen mit Maske tragen, Maske dabeihaben, mehr Hände waschen. Was für uns viel greifbarer ist, ist für die Erkrankten viel weiter weg. Ständig werden sie damit konfrontiert, dass sich Dinge verändert haben oder sie müssen daran erinnert werden. Frau Schmitz lässt sich dabei nicht deutlich merkbar einschränken, weil sie dann einfach ohne Maske ins Geschäft geht. Wenn sie dann darauf aufmerksam gemacht wird, zieht sie ihre Maske an. Es war auch schon so, dass es ihr selbst aufgefallen ist, als sie die anderen Menschen mit Maske gesehen hat. Da kramte sie dann in ihrer Handtasche und fand ihre eigene Maske dort.

Emotionen wie Wut und Traurigkeit sind bei Frau Schmitz präsenter geworden. Was bei uns eher bewusst abläuft, läuft bei ihr unbewusst ab. Das löst bei ihr ein Gefühlschaos aus. Und verstärkt in meinen Augen auch nochmal die Krankheit. Sie war viel vergesslicher und ist leichter reizbar.

Auch das Alleinsein wird verstärkt. Die Kinder kommen nicht zu Besuch, und sie spürt, dass etwas anders ist. Sie gerät dann aber eher in eine vorwurfsvolle Haltung, weil sie sich die Lage nicht erklären kann, weil sie sich nicht daran erinnert.

 

Was bedeutet die Corona-Zeit für dich?

Mir wurde viel genommen, habe ich gemerkt. Mein Leben wurde durchgerüttelt, weil mir aufgefallen ist, dass mir die Dinge, die mir wichtig sind, weggefallen sind. Freunde treffen, Konzerte besuchen und Tanzen! Und ich liebe Flohmärkte. Ich könnte jede Woche auf einen Flohmarkt gehen.

Da ich sehr pflichtbewusst und achtsam gegenüber anderen bin, habe ich mich sehr genau an alle Regeln gehalten. Dadurch war Corona für mich zu Beginn Raum einnehmend und Dinge wegnehmend. Aber ich mach das Beste jetzt draus und ändere meine Perspektive. Ich genieße die Sonne auf dem Balkon, höre ein Hörbuch und versuche, es eher wie Urlaub zu sehen.

 

Was wünschst du dir zukünftig für eine solche Situation?

Wenn ein soziales Netzwerk wie eine Familie besteht, fände ich es cool, wenn digitale Medien in Einsatz kommen oder Aktionen von der Straße aus stattfinden. Dass man den Menschen, die nicht raus können, etwas auf die Straße schreibt oder mit dem Telefon draußen steht, dass man sich aus der Entfernung sieht oder vor dem Fenster oder dem Balkon ein Ständchen singt. Eine Brieffreundschaft könnte ich mir auch vorstellen, weil das kennt die ältere Generation noch von früher, und es wäre eine Alternative zu den digitalen Medien. Vielleicht könnte man auch Unterstützung für Anregungen für Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten. Zum Beispiel Wanderrouten raussuchen oder eine einfache „Schnitzeljagd“ organisieren und den Angehörigen eine Anleitung dafür geben.

 

Vielen Dank für das Interview, liebe Astrid!

 

Anmerkung der Redaktion: *Namen durch die Redaktion geändert

 

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DUO qualifiziert und vermittelt engagierte Freiwillige, die Menschen mit Demenz in ihrer häuslichen Umgebung besuchen und Zeit mit ihnen verbringen. Wenn Sie mitmachen möchten oder aber Unterstützung durch unsere geschulten Freiwilligen suchen, beraten wir Sie gern. Mehr Infos und Kontakt: www.koeln-freiwillig.de/duo/

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